Um Gottes Willen, wo fange ich an.
Lehrt Eure Kinder Sex.
(Dieser Artikel hat einen Astro-Bruder hier auf meinem Astro-Blog)
Nein, ich meine das ernst.
(geschrieben Ende Juni 2020)
Den Umgang mit der eigenen Sexualität als normalen Teil des Lebens wahrzunehmen und als Folge daraus ein Mensch zu sein, der „Kraft hat“… das ist der positive Wunsch, der unter allem, was hier folgen soll, liegt.
Lehrt Eure Kinder Sex.
Und ansonsten ist dies hier ein „Hände-über-dem-Kopf-zusammenschlagen“.
Oh, Gott, wo fange ich an.
Ich habe fern gesehen.
Und jetzt bin ich wohl re-traumatisiert.
Die Serie „Doctor Foster“ auf Netflix ist einerseits ein sehr gut gemachtes Stück Bildschirm-Kunst.
Sehr gut. Alles gut. Wirklich gut geschrieben, spannend inszeniert, gute Bilder geschossen, hervorragend gespielt (ich weiss nix über die deutsche Synchronisierung, habe die Originalfassung gesehen).
Andererseits hat dieses Stück Fiktion so sehr Gleichungen mit meiner Realität, daß der Horror manchmal garnicht durch kommt.
Wegen Wegschieben.
Wegen Verdrängen.
Wegen Lügen.
(Wer jetzt schon beschlossen hat, die Serie ungespoilert zu sehen, sollte das jetzt tun, vor dem Weiterlesen.)
Um Gottes Willen, lehrt Euren Kindern den Umgang mit Sex!
Was die Serie auszeichnet, ist die Wahrhaftigkeit aller Charaktere.
Man schaut sich den Horror an und denkt: ja, genau so. Ja, ich hätte vielleicht in ähnlicher Situation ähnlich gehandelt. Oder, habe ich schon so gehandelt? Ja, vielleicht.
Alles vollkommen normale Leute.
Horror.
Alles vollkommen normale Leute.
Und hier kommt die besondere Kunst dieser Serie:
Das, was da falsch läuft, wird irgendwie von allen begangen.
Jeder hängt mit drin.
Und jeder ist irgendwie beteiligt durch irgendeine Lüge.
Es wird unglaublich akkurat beschrieben, wie jeder irgendwie mit drin hängt.
Von Verschweigen und aktivem Weggucken über kleine wohlmeinende Unterstützungen des Täters bis hin zum bewußten Mitlügen sind alle Facetten dabei.
Und hier kommt das für mich Grausame an dieser gut gemachten Serie:
Ich kann das dort auf dem Bildschirm erlebte jetzt nicht einfach so zur Seite legen.
Claudia und Facebook, warum habt ihr mir das angetan.
(… war ’ne Empfehlung…)
Ich bin das.
Das, was dort so haarklein, spannend und mit psychologischer Tiefe vor mir ausgebreitet wurde, hat die Essenz dessen freigelegt, an dem mein Wesen schmerzt.
Um Gottes Willen, lehrt Eure Kinder Sex!
(Jetzt wirklich Spoiler-Alarm!!)
Am Ende der zweiten Staffel ist der 15-Jährige Sohn weg.
Und ich.
Ich war auch weg.
Ich bin weg.
Horror.
Weg-ge-logen.
Die gesamte Handlung der Serie Doctor Foster könnte nicht passieren, wenn alle Beteiligten offen und verantwortlich mit ihrer eigenen Sexualität umgingen.
Und hier ist der Gedanke, der das Ganze so grausam macht:
Gesellschaftliche Normen müßten dafür geändert werden.
Das macht es gefühlsmäßig so aussichtslos für mich.
Persönliches Trauma.
Ich bin weg.
Nicht da.
Verschwiegen.
Mein Gott, am Ende der zweiten Staffel war auf einmal der 15-Jährige weg.
Und ich? Ich finde es eine gute Sache, daß ich keine Kinder habe.
Weg.
Da gibt es so einen inneren Satz, der in etwa lauten könnte „Ich mache da nicht mit“.
Ich habe normalerweise in meinem Leben alle Hände voll zu tun.
Häufig vergehen Wochen, in denen ich einfach nur nach mir rufe.
Und die guten Zeiten sind die, wenn mir auffällt, daß da was fehlt.
Ansonsten geht meist das geschäftige Leben einfach weiter, auch wenn ich fehle.
Ich bin dann so wie versickert… und nach ein paar Wochen komme ich auch drauf, daß es lange nicht geregnet hat…
In der Serie „Doctor Foster“ wird auch das hervorragend gezeichnet.
Wie das gesellschaftliche Leben einfach so weiter geht, während gleichzeitig etwas weg-gelogen wird.
Der große Handlungsstrang in der ersten Staffel geht darum, wie der liebende Familienvater gleichzeitig mit einer jüngeren Frau ein Verhältnis hat und es mit Hilfe vom ganzen Umfeld jahrelang geheim hält, bis… da steigen wir dann in die Handlung ein…
Um diese ganze Serie unmöglich zu machen, bräuchten wir „nur“ eine neue Antwort.
Eine neue Umgehensweise.
Eine integrierte Weise, mit Lust umzugehen.
Wie können wir den jetzt noch häufig mit „Lüge leben“ beantworteten Widerspruch zwischen „Lust auf andere Partner“ und „Sicherheit in der Beziehung“ (verbunden mit: Sicherheit für Kinder) anders leben?
Und auch hier ist die Serie so beeindruckend real … wenn man es so lesen möchte, liest man daraus den Satz: Deine Sexualität gehört Dir nicht alleine.
Es gibt Regeln. Es muss Regeln geben. Gesellschaft muss sich einmischen.
Die Frage, die die erwachsene Welt der heranwachsenden Welt zu beantworten helfen versuchen muss heißt: Wie kann ich meine Lust leben, so daß diese Kraft das Leben nährt.
Sowohl das eigene Leben wird mit sexueller Kraft versorgt, genauso wie das Leben der PartnerInnen und das Leben der gesamten Gesellschaft.
In der zweiten Staffel von „Doctor Foster“ wird gezeigt, wie der Junge für Aggressionen und erste Übergriffigkeiten beim Küssen abgestraft wird. Wir sehen nicht, wie ihm gezeigt würde, mit der „neuen Kraft“ umzugehen.
Der erste Schritt, um angemessenes Verhalten mit der neuen Kraft zu lernen, wäre, überhaupt darüber sprechen zu können.
Und hier setzt dann meine Wirklichkeit an.
Sprachlosigkeit für alles unterhalb der Gürtellinie.
Ende:
Wir brauchen Sichtbarkeit von vielen möglichen gelebten Lüsten. Wir müssen die Möglichkeit haben, über Sehnsüchte zu sprechen, die nicht umgesetzt werden.
Wir müssen Wege finden, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben.
Damit die Bedingungen zur Lustlebung gemeinsam verhandelt werden können.
(… da habe ich im Juni das Schreiben beendet… ein paar mehr Ideen habe ich heute auf meinem Astro-Blog dazu geschrieben:)